«Das Bilderbuch erlebt eine Renaissance!»

    Der grösste Schweizer Kinderbuchverlag NordSüd veröffentlicht rund 30 deutschsprachige und 20 englischsprachige Neuerscheinungen pro Jahr. Zusammen mit dem US-Ableger gehen jährlich rund 1 Million Kinderbücher über den Verkaufstisch. Verleger Herwig Bitsche möchte Kindern die Möglichkeit bieten, lesend die Welt zu entdecken. Hier spricht er über das Buch als Medium der Stunde sowie über Bücher zu Themen wie Krieg, Frieden und Flucht.

    (Bilder: zVg) «Nur Mut kleine Küken»: Dieses Buch stürmt regelmässig im Frühjahr die Bestsellerlisten und ist auf bestem Weg, ein Oster-Kultbuch zu werden.

    NordSüd ist der grösste Schweizer Kinderbuchverlag und bringt seit 1961 Bücher zu Kindern aus aller Welt. Wie haben sich die Kinderbücher respektive die Bedürfnisse Ihrer (kleinen) Kundinnen und Kunden im Laufe der Jahre verändert?
    Herwig Bitsche: Ich selbst verlege Kinderbücher natürlich noch nicht so lange. Das Jubiläumsjahr 2021 hat mir aber Gelegenheit gegeben, mich mit der Geschichte des NordSüd Verlags auseinanderzusetzen. Damals in den 60er Jahren waren bereits sehr innovative Künstler für NordSüd tätig, wie Bernadette Watts, Binette Schroeder, Ralph Steadman, Janosch, Max Velthuijs und Jozef Wilkon. In der Schweiz haben davor schon Künstler wie Alois Carigiet und Hans Fischer Meilensteine in der Bilderbuchkunst geschaffen, die bis heute Bestand haben. Ausgezeichnete Bilderbuchkunst gibt es also schon sehr lange. Das Bilderbuch war bei NordSüd auch immer sehr international ausgerichtet, wodurch unterschiedlichste Stile und Kulturen in den Kinderzimmern zusammenkommen. Im Moment habe ich den Eindruck, dass insbesondere das Bilderbuch eine Renaissance erlebt und durch eine besondere Vielfalt an Themen und künstlerischen Ausdrucksmitteln beeindruckt. Die Bereitschaft, komplexe Themen für Kinder aufzubereiten, hat auf jeden Fall zugenommen.

    Auch für Kinder gibt es ein grosses Unterhaltungsangebot. Welchen Stellenwert haben heute Kinderbücher in der Gesellschaft?
    In der Pandemie haben wir festgestellt, dass das gedruckte Buch das Medium der Stunde ist und stark an Wertschätzung gewonnen hat. Das trifft vor allem auf das Bilderbuch zu, das ja von den Erwachsenen ausgewählt und vorgelesen wird. Die Intensität dieses gemeinsamen Lesens ist kaum zu überbieten und nutzt sich auch nach vielfacher Wiederholung nicht ab.

    Verleger Herwig Bitsche: «Wir versuchen unterschiedlichste Themen, welchen Kinder im Alltag begegnen können, in literarischer Form verständlich zu machen.»

    Was zeichnet die NordSüd-Kinderbücher aus?
    Ungewöhnlich ist unsere Spezialisierung auf Bilderbücher. Weder Kinderbücher noch Jugendbücher haben in den 60 Jahren eine Rolle gespielt. Deswegen machen wir auch so gut wie keine digitalen Bücher. Für das gemeinsame Leseerlebnis sind gedruckte Bücher unübertroffen. Unsere Bücher haben einen hohen künstlerischen Anspruch und werden hochwertig produziert. Immer noch werden die meisten Illustrationen von Hand gezeichnet.

    Wie viele Neuerscheinungen veröffentlicht NordSüd pro Jahr?
    Wir veröffentlichen jährlich rund 30 deutschsprachige und 20 englischsprachige Neuerscheinungen. Unser Augenmerk liegt aber nicht nur auf Novitäten, sondern sehr stark auch auf der Pflege von bestehenden Rechten und der Wiederentdeckung von Klassikern.

    Welche Kriterien muss ein Kinderbuch erfüllen, um in Ihrem Verlag publiziert zu werden?
    Die schwierigste Frage überhaupt! Menschen, die tagtäglich mit Bilderbüchern und hochwertigen Illustrationen zu tun haben, sind kaum einmal zu überraschen. Umso eindrücklicher ist es, wenn das einer jungen Künstlerin, einem jungen Künstler gelingt. Wenn uns jemand mit einer Arbeit überrascht, unsere Erwartungen übertrifft, dann beschäftigen wir uns gerne näher mit diesem Projekt. Zwei Dinge sind für unsere Programmplanung sehr wichtig: Wir machen vorzugsweise Originalausgaben und arbeiten mit Künstlern direkt zusammen. Und die Geschichten müssen universell verständlich sein. Ein Schweizer Kind sollte sich genauso darin wiederfinden, wie Kinder in den USA oder in Japan. Diese beiden Aspekte erlauben uns die Rechte weltweit auszuwerten, was ein wesentlicher Bestandteil unserer Arbeit ist.

    Wie hat der Krieg in der Ukraine Ihr Programm verändert, respektive welche speziellen Bücher bieten Sie hier an?
    Wir hatten natürlich noch keine Gelegenheit unser Programm den schrecklichen Ereignissen in der Ukraine anzupassen. Aber ohne jeden Hinweis fanden Leserinnen und Leser unsere Bücher zu Themen wie Krieg, Frieden und Flucht. Im Frühjahr 2021 haben wir das Buch «Frieden» von der mexikanischen Illustratorin Estelí Meza und den beiden amerikanischen Autoren Baptiste und Miranda Paul veröffentlicht, das vor allem in den USA erfolgreich war. Jetzt haben wir davon in zwei Wochen mehr Bücher in Deutschland verkauft als im ganzen vorigen Jahr. Alle Bücher zu den Themen sind inzwischen vergriffen und werden nachgedruckt.

    Die Nachfrage nach Büchern wie beispielsweise das Kinderbuch «Frieden» sind ausverkauft. Haben Sie das erwartet?
    Wir hatten kaum Zeit uns darüber Gedanken zu machen. Die ersten Anzeichen kamen schon ein, zwei Tage nach der Invasion. Nein, es hat mich nicht sehr überrascht. Einen ähnlichen Effekt hatten wir beim ersten Lockdown.

    Wie soll man Kinder erklären, was in der Ukraine gerade geschieht?
    Das Bedürfnis, Kindern diese Ereignisse zu erklären, ist auf jeden Fall sehr gross und wir bekommen fast täglich Zuschriften von Pädagogen, die sich bedanken, dass wir ihre Arbeit mit unseren Büchern erleichtern. Daher glaube ich, dass wir hier mit unseren Büchern einen positiven Beitrag leisten.

    Wie wichtig sind solche Kinderbücher, die Krieg und Frieden kindgerecht thematisieren in Ihrem Sortiment?
    Wir versuchen unterschiedlichste Themen, welchen Kinder im Alltag begegnen können, in literarischer Form verständlich zu machen. Auch Themen wie Tod, Mut oder Verschiedenheit gehören dazu. Es ist fast unvermeidbar, dass ein Programm über die Jahre eine grosse Bandbreite an gesellschaftlich relevanten Themen aufnimmt.

    Welche Kinderbücher muss man einfach gelesen haben?
    Man sollte als Kind die Möglichkeit bekommen, lesend die Welt zu entdecken und sie zu verstehen. Auf das einzelne Buch kommt es nicht an.

    Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Verlages NordSüd?
    Dass wir weiterhin viele Leserinnen und Leser finden, die den Wert von gedruckten Büchern erkennen und schätzen.

    Interview: Corinne Remund


    Über Nord Süd

    Von Nord bis Süd – der grösste Schweizer Kinderbuchverlag bringt seit 1961 Bücher zu Kindern aus aller Welt. Verleger Herwig Bitsche und sein Team haben höchste Ansprüche an die Inhalte der Bücher, die grafische Qualität und an die Ausstattung der Bücher: «Wir arbeiten mit einigen der besten Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt zusammen, um hochwertige Bilderbücher für Kinder zwischen zwei und acht Jahren zu publizieren.»

    NordSüd veröffentlicht rund 30 Neuerscheinungen pro Jahr und das amerikanische Imprint NorthSouth Books rund 20 Neuerscheinungen für die englischsprachigen Märkte. «Wir veröffentlichen überwiegend Originalausgaben und bieten die Lizenzrechte dafür weltweit an. Die Liebe zum Detail, ein hoher Anspruch an die Originalität der Geschichten und die Leidenschaft für ihre Vermittlung prägen unsere Arbeit», so der engagierte Verleger.

    Zu den erfolgreichsten Titeln des Verlages zählen «Der Regenbogenfisch» von Marcus Pfister und «Der Kleine Eisbär» von Hans de Beer. Zahlreiche Künstler sind mit umfangreichen Werkteilen bei NordSüd vertreten. Viele Bücher sind seit Jahrzehnten im lieferbaren Programm des Verlags. In jüngerer Zeit sind vor allem die Mäuseabenteuer von Torben Kuhlmann zu einem prägenden Teil des Programms geworden. «Wir fördern junge Talente und hatten in den letzten Jahren viele erfolgreiche Debüts. Gedruckte Bilderbücher stehen bei uns im Mittelpunkt», betont Bitsche.

    CR

    www.nord-sued.com

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